Volker Kast ist Lehrer und seit Jahren in der schulischen Klima- und Umweltbildung aktiv. Aus dieser Arbeit heraus hat er nicht nur das Klimaxo-Kartenspiel entwickelt, sondern auch tiefe Einblicke gewonnen, wie junge Menschen, Familien und Bürger:innen Klimathemen wirklich verstehen, wo Missverständnisse entstehen und welche Wege aus seiner Sicht am besten geeignet sind, um vom Wissen ins Handeln zu kommen. Im Gespräch sprechen wir mit ihm darüber, wie die Klimabildung heute aussehen sollte, welche Aha-Momente seine Schüler*innen regelmäßig erleben und warum einfache Vergleiche manchmal mehr bewirken als lange Debatten.
EEAktuell: Herr Kast, Sie leiten seit Jahren eine Klima-AG an Ihrer Schule. Was haben Sie dort gelernt, das Ihr Verständnis für Klimawissen und -kommunikation nachhaltig verändert hat?
Volker Kast: Zum einen habe ich gelernt, dass viele Kinder eine große „Klima-Angst“ empfinden, diese aber nicht benennen können und sich schwertun, damit einen konstruktiven Umgang zu finden. Dabei ist diese Angst angesichts unserer Lage eigentlich eine gesunde Reaktion. Sobald sie jedoch spüren, dass sie wirklich selbst etwas bewirken können, fühlen sie sich deutlich besser und handlungsfähiger.
Zum anderen hat mich überrascht, wie wenig Klimakompetenz in der Gesellschaft tatsächlich vorhanden ist und wie langsam diese zunimmt. Angesichts der Dringlichkeit der Lage ist für mich ein zentrales Learning: Wir brauchen viel mehr Bewusstseinsbildung, als derzeit stattfindet. Hier liegt noch enormes Potenzial brach.
EEAktuell: Viele Menschen überschätzen manche Klimabeiträge und unterschätzen andere. Welche typischen Fehlannahmen begegnen Ihnen im Unterricht oder in Gesprächen am häufigsten?
Volker Kast: Da gibt es ganz typische Muster, hier einige Beispiele:
Der Transport von Waren per Schiff (also 99 % aller transportierten Waren) wird in seinem CO₂-Impact systematisch überschätzt.
Im Gegensatz dazu wird der schädliche Effekt von Fleischkonsum und allen anderen Produkten der Kuh, massiv unterschätzt. Vegetarische oder vegane Ernährung ist ein riesiger privater Klima-Hebel.
Dabei muss man gar nicht komplett umsteigen, sondern einfach nur reduzieren. Wenn wir alle wie vor fünfzig Jahren nur einmal die Woche den Sonntagsbraten essen würden, wäre schon unglaublich viel erreicht.
Dann ist da noch das Paradebeispiel privates Plastiksparen: Das wird in seinem Impact auf das Klima massiv überschätzt – auch wenn es aus anderen Gründen gut ist, Plastik zu sparen.
Mit dem SUV zum Unverpacktladen zu fahren ist definitiv etwas, was manchen logisch vorkommt, aber genau das Gegenteil bewirkt.
Und schließlich möchte ich noch zwei positive Beispiele nennen:
Solaranlagen und neue Windkraftwerke ans Netz zu bringen hat insbesondere in Deutschland einen unfassbar positiven Effekt. Warum besonders hier? Weil wir noch so viele extrem schmutzige Kohlekraftwerke betreiben, wie kaum ein anderes Land. Dieser “schmutzige” Strom kann so nach und nach ersetzt werden.
Und: E-Bikes sind unglaublich effektiv. Die stoßen kaum mehr CO₂ aus, als wenn wir selbst radeln – sofern wir den Akku gut behandeln und lange behalten. Hier gilt beim Thema Mobilität: Was für ein Fortschritt, was für eine Chance! Jetzt muss hier nur noch die Infrastruktur fahrradfreundlicher werden.
EEAktuell: Sie arbeiten viel mit Zahlen aus wissenschaftlichen Quellen. Welche aktuellen Entwicklungen oder Trends im Bereich CO₂-Emissionen, Konsum oder Energie überraschen Sie persönlich am meisten?
Volker Kast: Mich überrascht schon, dass wir unendlich große Rechenzentren bauen, um Kryptowährungen zu kreieren und KI weiterzuentwickeln, ohne wirklich zu debattieren, wie man das klimabewusst regulieren kann. Das Gleiche gilt für die aktuelle Rüstungsentwicklung. Hier entstehen enorme Mengen CO₂. Ich kann nachvollziehen, dass manches „alternativlos“ erscheint und es wie eine Bremse in einem Wettrennen wirkt, ans Klima zu denken. Aber dass diese Themen kaum öffentlich diskutiert werden, finde ich schon erstaunlich, denn der Klimawandel ist faktisch extrem bedrohlich.
Mich überrascht auch, dass nicht konsequenter in nachhaltige Geschäftsmodelle investiert wird, sei es in der Auto- oder allen anderen Industrien. Es ist absehbar, dass Nachhaltigkeit immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird. Wer früher auf nachhaltige Innovationen setzt, wird in zehn Jahren wirtschaftlich deutlich besser dastehen.
Generell verwundert es mich zudem, dass kleinere Klimaschutzmaßnahmen wie die 60 Millionen Euro für den Klimafonds in Belém groß angekündigt werden, während gleichzeitig fossile Energien mit Milliarden subventioniert werden und die Luftverkehrssteuer gesenkt wird. Das ist aus meiner Sicht sehr widersprüchlich.
Ja, hier wird es schnell politisch. Und ja, hier fehlt aus meiner Sicht oft die notwendige Klimakompetenz bzw. Priorität für den Klimaschutz in Entscheidungsprozessen. Da denke ich oft an die Worte von Klimaforscher Mojib Latif: „Ich kann Politiker*innen und Politikern nichts mehr beibringen. Sie handeln wider besseren Wissens.“
EEAktuell: Im schulischen Umfeld prallen oft unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander. Welche Fragen oder Reaktionen überraschen Sie am meisten, wenn Sie über CO₂, Ernährung, Mobilität oder Konsum sprechen?
Volker Kast: Es überrascht oft die Kluft zwischen dem, was Jugendliche theoretisch wissen, und dem, was in ihren Familien tatsächlich gelebt wird. Viele sind sehr aufgeschlossen und verstehen die Zusammenhänge schnell. Dann erzählen sie von Familienausflügen übers Wochenende nach Mallorca und den vielen Fernreisen, bei denen das Klima keine Rolle spielt.
Natürlich ist es für sie nicht so einfach, das in Frage zu stellen, wenn es anders vorgelebt wird. Dennoch: Wo, wenn nicht bei Jugendlichen, soll eine Transformation ihren Anfang nehmen. Aber es gibt natürlich auch Jugendliche, die hier die richtigen Fragen stellen, Zusammenhänge herstellen und auch die Politik hinterfragen.
Was mich bewegt: Viele junge Menschen fühlen sich ohnmächtig angesichts der großen Zahlen und globalen Dimensionen. Dann hilft es enorm, konkrete, machbare Schritte aufzuzeigen und zu zeigen: Ja, dein Handeln macht einen Unterschied, auch wenn es sich manchmal klein anfühlt.
EEAktuell: Sie beschäftigen sich intensiv damit, wie man Klimathemen alltagstauglich erklärt. Was sind aus Ihrer Sicht die wirksamsten Hebel, um Menschen jeden Alters mitzunehmen?
Volker Kast: Das ist generell eine schwierige Frage, denn Klimawandelkommunikation hat in den letzten Jahrzehnten offensichtlich nicht ausreichend gewirkt. Gut, es ist auch schwierig gegen eine Milliardenlobby zu arbeiten, aber dennoch: Viele, die in diesem Bereich arbeiten, fragen sich, ob man mit der Darstellung seriöser Fakten überhaupt weiterkommt. Denn man wird dann oft einfach nicht gehört.
Was man braucht, ist ein Storytelling, das aufrüttelt und die dramatischen Konsequenzen des Klimawandels klarmacht, und dennoch die Gratwanderung schafft, nicht zu frustrieren. Es muss die Dringlichkeit aussprechen und gleichzeitig aufzeigen, dass wir noch alles selbst in der Hand haben und wirklich jede*r von uns etwas bewegen kann.
Ein Aufrütteln funktioniert bei jeder Zielgruppe unterschiedlich. Am besten knüpft man an die Lebenswelt und Werte der Personen an. Das kann im Jugendalter der immer höhere Preis für den Döner (oder die klimabewusstere Falafel) sein. Aber auch das Aufzeigen von authentischen Einzelschicksalen von Klimaflüchtlingen, mit denen man mitfühlt, kann etwas bewirken.
Bei Fussballfans kann es eine Klima-Aktion eines Vereins sein, die als Vorbild für andere Sportfans dienen kann. Unternehmer*innen inspiriert eher das Aufzeigen der enormen volkswirtschaftlichen Einsparungen, wenn wir frühzeitig in den Klimaschutz investieren. So gibt es viele Beispiele für die unterschiedlichen Zielgruppen.
Das macht das Ganze kompliziert: Es hängt gar nicht so sehr vom Alter ab, sondern davon, mit welchen Menschen man aufwächst und ob das Thema ernst genommen wird. Aber am Ende sind wir ja alle betroffen vom Klimawandel, das muss man immer wieder passend klarmachen.
EEAktuell: Sie haben das Kartenspiel Klimaxo entwickelt, möchten Sie kurz erläutern, was genau die Idee dahinter war und wie das Spiel funktioniert?
Volker Kast: Die Idee zu Klimaxo entstand aus meiner Arbeit in der Klima-AG und der Erkenntnis, dass abstrakte CO₂-Zahlen für die meisten Menschen schwer greifbar sind. Ich wollte ein Werkzeug schaffen, das Klimawissen wissenschaftlich fundiert und spielerisch vermittelt. Es sollte Gespräche zwischen verschiedenen Perspektiven ermöglichen, aber ohne moralischen Zeigefinger.
Das Spielprinzip ist einfach: Jeder nimmt eine zufällige Rolle ein, und je nachdem, ob man Retter*in der Erde oder Vernichter*in ist, wird mit dem Impact alltäglicher Handlungen das Klima der Erde abgekühlt oder erhitzt. Hierdurch sind Strategie, Wissen, Schnelligkeit und Glück im Spiel gefragt. Ganz nebenbei führen Schätzfragen zu CO₂-Emissionen und einfache Faustformeln zu mehr Klima-Durchblick.
Das Spiel ist in Kooperation mit der Universität Magdeburg und mit der Gestaltung der italienischen Designerin Juls Criveller entstanden. Es macht Klimaschutz greifbar und zeigt, wo wirklich die großen Hebel liegen. Aber vor allem soll es Eines bewirken: Es bringt Menschen ins Gespräch, ohne dass es in Vorwürfe oder Frustration endet.
Mehr Infos hierzu gibt es auf Klimaxo.de.
EEAktuell: Welche Erkenntnisse aus Klimaxo – etwa Vergleiche zwischen verschiedenen Alltagsentscheidungen – wirken auf Erwachsene besonders stark, wenn sie das Spiel in Familien oder Gruppen ausprobieren?
Volker Kast: Da gibt es viele eindrückliche Beispiele: Dass ein großes Elektroauto in Deutschland pro Kilometer (inklusive Produktion, Entsorgung und Infrastruktur) mehr CO₂ ausstoßen kann als ein kleiner Verbrenner, zum Beispiel.
Achtung: Natürlich sind Elektroautos insgesamt die bessere Wahl. Aber hier kommen zwei Faktoren zusammen: Der positive Effekt wird durch schwere und große Autos zunichte gemacht (davon werden übrigens anteilig immer mehr verkauft). Gleichzeitig hat Deutschland auf CO₂ bezogen den zweitschmutzigsten Strommix hinter Polen in der EU. Warum wir noch so viele Kohlekraftwerke betreiben, versteht auch kaum jemand.
Wenn im Anschluss noch die Karte für den Ausstoß eines Kohlekraftwerks gezogen wird, ist der Schock riesig. Fast alle wissen, dass diese Form der Energiegewinnung schmutzig ist, aber nicht WIE extrem schädlich.
Dann schiebt man gleich noch die Karten zu Yachten und Privatjets nach, und es wird klar: Ja, jede*r kann und soll zwar etwas beitragen, aber ohne deutliche Verhaltensänderungen in der Politik und bei den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung haben wir keine Chance, den Klimawandel zu begrenzen.
Über diese Dinge müssen unbedingt fundierte Gespräche stattfinden, miteinander und überall. Man muss einfach möglichst viele mit ins Boot holen, ohne Vorwürfe zu machen.
EEAktuell: Zum Abschluss: Was ist Ihr persönlicher Tipp für Menschen, die mehr Klimakompetenz im Alltag entwickeln möchten, ohne sich in Daten und Diskussionen zu verlieren?
Volker Kast: Mein Tipp ist – oh Wunder – der spielerische Ansatz. Das muss nicht unbedingt Klimaxo sein, da gibt es noch andere Möglichkeiten.
Durch Spielen können wir dieses kognitiv anspruchsvolle und emotional schwere Thema so viel besser aufnehmen als durch PowerPoint-Folien. Und gleichzeitig bringt es uns in den Austausch mit anderen. Es ist so wichtig, dass wir uns vernetzen, denn erst in der Gemeinschaft können wir viel erreichen.
Das Spiel kann hier eine Möglichkeit sein, aber auch jeder Workshop und jede Diskussionsform, die unterschiedliche Perspektiven zusammenbringt, kann Veränderungen bewirken. Wichtig ist, dass wir vom passiven Konsumieren von Klimainformationen ins aktive Erleben und gemeinsame Reflektieren kommen. Und dann ins Handeln.
Im Gespräch mit Volker Kast stehen die praktischen Erfahrungen mit Klimabildung im Mittelpunkt. Seine Beobachtungen reichen von verbreiteten Fehleinschätzungen über alltägliche Klimabeiträge bis hin zu den Fragen, die Jugendliche im Unterricht bewegen. Einfache Vergleiche und konkrete Beispiele helfen dabei, komplexe Zusammenhänge einzuordnen. Klimaxo und ähnliche Formate knüpfen daran an, indem sie Wissen, Perspektiven und Alltagserfahrungen miteinander verbinden. Entscheidend bleibt der Übergang vom Zuhören zum gemeinsamen Nachdenken und Handeln, und das ohne Vorwürfe.