Unabhängiger Klimajournalismus: Joachim Wille über Energiewende, Verantwortung und den Blick nach vorn

09. 09. 2025

Joachim Wille

  • Co-Chefredakteur
  • klimareporter.de
  • Autor Frankfurter Rundschau

Joachim Wille (69) ist Co-Chefredakteur des Online-Magazins klimareporter.de und Autor der Frankfurter Rundschau (FR) sowie anderer Blätter. Er war von 1982 bis 2012 bei der FR angestellt, als Volontär, Nachrichten- und Politikredakteur, Ressortleiter sowie zuletzt als Politik-Reporter. Seither arbeitet er als freier Autor vor allem weiterhin für die FR. Wille ist für seine Arbeit mit mehr als einem Dutzend Preisen ausgezeichnet worden, besonders für seine langjährige Tätigkeit im Umweltjournalismus, aber auch für Reise- und Politik-Berichterstattung. 2015 erhielt er vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz als einer der Wegbereiter des Umweltjournalismus hierzulande verliehen.

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Joachim Wille gehört zu den profiliertesten Umwelt- und Energiejournalisten Deutschlands. Nach vielen Jahren bei der Frankfurter Rundschau ist er seit 2016 Chefredakteur von Klimareporter°, einem unabhängigen Online-Magazin für Klimapolitik, Energiewende und Nachhaltigkeit. Im Gespräch beantwortet er Fragen über die Bedeutung der unabhängigen Berichterstattung in diesem Feld, welche Entwicklungen ihn in den letzten Jahren besonders bewegt haben und wie Bürger:innen Orientierung in der Energiewende finden können.

EEAktuell: Herr Wille, Sie begleiten die Energie- und Klimapolitik seit vielen Jahren journalistisch. Wie hat sich die öffentliche und politische Debatte in Deutschland verändert, seit Sie angefangen haben?

Joachim Wille: Die Veränderung ist enorm. Als ich 1982 bei der Frankfurter Rundschau anfing, gab es „Umwelt“ noch gar nicht als eigenes Themenfeld. Es waren ein paar Redakteurinnen und Redakteure, die sich aus persönlichem Interesse um Themen wie Luftverschmutzung, Chemieunfälle oder das Waldsterben kümmerten. Damals galt das eher als exotisch. Heute ist Umwelt- und Klimapolitik im Kern der politischen Debatte angekommen.

Das heißt aber nicht, dass es einen kontinuierlichen Aufschwung gab. Die Aufmerksamkeit kam immer in Wellen. In den 1980ern waren die Schlagzeilen voll mit Waldsterben, saurem Regen, Rheinverseuchung, Tschernobyl. Anfang der 1990er war der Erdgipfel von Rio ein Höhepunkt. Dann flaute das Thema wieder ab – bis 1997 mit dem Kyoto-Klimaprotokoll, später mit Fukushima 2011 oder Fridays for Future 2018 neue Schübe kamen. Dazwischen gab es immer Phasen, in denen Klimapolitik kaum eine Rolle spielte, weil andere Krisen dominierten: Finanzkrise, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg.

Grundsätzlich aber hat sich das Bewusstsein geändert: Heute ist klar, dass Klimaschutz und Energiewende keine „Sonderthemen“ mehr sind, sondern über Wohlstand, Sicherheit und Lebensqualität entscheiden. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können sie nicht mehr ignorieren – auch wenn sie manchmal so tun, als könnten sie die Debatte wegblenden.

EEAktuell: Klimareporter° versteht sich als unabhängiges, werbefreies Medium. Warum ist unabhängiger Journalismus im Bereich Klima und Energie so entscheidend?

Joachim Wille: Weil in diesem Feld die Interessenkonflikte so stark sind wie kaum irgendwo sonst. Energie ist ein Milliardenmarkt, von Öl, Gas und Kohle über Auto- und Chemieindustrie bis hin zu neuen Playern im Bereich erneuerbare Energien und Wasserstoff. Jeder dieser Akteure hat Interessen, und viele versuchen, die öffentliche Debatte zu beeinflussen.

Ich habe das selbst immer wieder verfolgt: Da werden Risiken kleingeredet, „Fachleute“ platziert, die Zweifel säen sollen, Studien mit entwarnender Schlagseite in Auftrag gegeben. Manche Lobbygruppen arbeiten sehr professionell, oft auch verdeckt. Wenn Medien in diesem Umfeld nicht unabhängig sind, wenn sie auf Anzeigenaufträge oder Parteipräferenzen Rücksicht nehmen müssen, leidet die Glaubwürdigkeit.

Genau deshalb wurden Klimareporter° und das Vorgängermagazin klimaretter.info gegründet – unabhängig, finanziert durch Spenden und Werbung, die zu unserem Profil passt. Das gibt uns die Freiheit, kritisch zu berichten, Missstände zu benennen, aber auch über Lösungen zu informieren. Wir wollen nicht alarmistisch sein, aber wir wollen klar machen, was Sache ist. Für die Leser:innen ist das entscheidend: Sie brauchen eine Informationsquelle, der sie vertrauen können, weil dort keine versteckten Interessen dahinterstehen.

EEAktuell: Viele unserer Leser:innen fragen sich: Wo stehen wir aktuell bei der Energiewende im Alltag?

Joachim Wille: Man muss zweierlei sagen: Wir sind schon weit gekommen – und wir sind noch viel zu langsam. Positiv ist: In der Stromversorgung liegt der Anteil der erneuerbaren Energien inzwischen bei über 50 Prozent. Vor 20 Jahren war das noch Utopie. Photovoltaik und Windkraft sind schneller billig geworden, als das damals erwartet wurde.

Aber gleichzeitig hinken wir in anderen Bereichen dramatisch hinterher. Beim Verkehr sind die CO₂-Emissionen seit Jahren fast unverändert. Die Autoindustrie hat zu lange am Verbrenner festgehalten, die Politik hat es ihr durch lasche Vorgaben leicht gemacht. Beim Heizen dominieren noch immer Öl- und Gasheizungen, und der Sanierungsstau bei Gebäuden ist riesig. Auch in der Industrie ist die Umstellung auf klimaneutrale Prozesse – Stichwort grüner Stahl – erst im Anfangsstadium.

Im Alltag merken Bürger:innen vor allem die Brüche: hohe Energiepreise, komplizierte Förderanträge, Unsicherheit über die richtige Technik. Viele wollen etwas tun, wissen aber nicht, was das Richtige ist. Das zeigt: Wir brauchen nicht nur Technik, sondern auch verlässliche politische Rahmenbedingungen und klare Kommunikation.

EEAktuell: Welche Fehlentwicklungen oder politischen Blockaden haben aus Ihrer Sicht den Fortschritt gebremst?

Joachim Wille: Da gibt es mehrere. Erstens der Zickzackkurs der Politik. Statt langfristige Ziele zu setzen und dann konsequent umzusetzen, wurde die Energiewende oft von Wahl zu Wahl neu bewertet. Das hat Investoren und Bürger:innen verunsichert. Zweitens die starke Lobby der fossilen Energieträger. Jahrzehntelang wurde Kohle geschützt, auch setzte man einseitig auf billiges russisches Gas. Das hat die Energiewende verzögert und uns verwundbar gemacht – was wir 2022 schmerzhaft erlebt haben. Drittens die Bürokratie. Deutschland hat ein unglaubliches Talent, den Fortschritt mit Formularen, Verordnungen und Klagewegen auszubremsen. Beispiel Windkraft: Viele Projekte scheitern lange Zeit an Genehmigungen, Klagen oder fehlendem Personal in den Behörden. Und viertens: Kommunikation. Die Energiewende wurde oft als Belastung verkauft – höhere Kosten, Einschränkungen –, statt als Chance für neue Jobs, Innovationen und Lebensqualität. So schafft man keine Akzeptanz.

EEAktuell: Gibt es aus Ihrer Sicht Erfolgsprojekte oder Innovationen, die Mut machen und direkt für Verbraucher:innen relevant sind?

Joachim Wille: Ja, und die sollte man viel stärker erzählen. Ich denke etwa an Bürgerenergie-Genossenschaften: Menschen schließen sich zusammen, lassen Windräder oder Solaranlagen bauen und profitieren direkt davon. Das stärkt die Region, schafft Wertschöpfung vor Ort und erhöht die Akzeptanz.

Oder an die Wärmepumpentechnologie: Vor zehn Jahren noch teuer und exotisch, heute eine echte Alternative zu Öl- und Gasheizungen. Auch hier gilt: Wenn die Politik verlässliche Rahmen setzt, kann sich eine klimafreundliche Technik schnell durchsetzen.

Interessant finde ich auch die kleinen Lösungen, zum Beispiel Balkonkraftwerke, Mini-Solaranlagen, die jeder und jede selbst anbringen kann. Damit werden Haushalte Produzenten, nicht nur Konsumenten. Das senkt die Stromrechnung und gibt ein gutes Gefühl.

EEAktuell: Klimareporter° berichtet nicht nur über Technik, sondern auch über Klimapolitik und gesellschaftliche Verantwortung. Was können Bürger:innen konkret beitragen, abseits vom politischen Wählen?

Joachim Wille: Zunächst: Wählen ist wichtig, weil politische Mehrheiten den Rahmen setzen. Aber die Bürgerinnen und Bürger können viel mehr tun.

Individuell gibt es eine ganze Palette: weniger Auto fahren, auf erneuerbare Heizungen umstellen, die Ernährung klimafreundlicher gestalten. Aber mindestens genauso wichtig ist das Kollektive: sich in Initiativen einbringen, an Bürgerentscheiden teilnehmen, in Energie-Genossenschaften investieren, lokaler Druck, damit Energiewende-Projekte in den Kommunen voran kommen.

Und nicht unterschätzen: Diskutieren – mit Freund:innen, Nachbar:innen, Kolleg:innen. Viele Menschen sind unsicher, haben Fragen oder Sorgen in Bezug auf die Energiewende. Wer informiert ist und im Gespräch bleibt, hilft, die Debatte zu versachlichen.

EEAktuell: Wenn Sie nach vorne blicken: Welche Themen werden die Klimaberichterstattung in den kommenden fünf Jahren dominieren?

Joachim Wille: Ich sehe mehrere Schwerpunkte. Erstens: Gebäude und Heizen. Der Umbau unseres Gebäudebestands ist eine Mammutaufgabe, und sie betrifft Millionen Haushalte direkt. Zweitens: Verkehr. Der Abschied vom Verbrennungsmotor steht fest, aber wie schnell und mit welchen Alternativen, ist noch offen. Hier wird es viele Konflikte geben. Drittens: Industrie. Ob wir es schaffen, Stahl, Chemie oder Zement klimaneutral zu machen, entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Viertens: internationale Fragen. Klimaschutz ist global, und die Konflikte um Verantwortung, Finanzierung und Technologiezugang werden schärfer. Das zeigt sich bei jedem UN-Klimagipfel. Und fünftens: soziale Gerechtigkeit. Die Energiewende muss so gestaltet werden, dass nicht nur Besserverdienende profitieren. Wenn Menschen den Eindruck haben, sie zahlen drauf, während andere Gewinne machen, gefährdet das die Akzeptanz.

EEAktuell: Zum Abschluss: Welchen Rat würden Sie Menschen geben, die sich aktiv über Energiewende und Klimaschutz informieren möchten, ohne in der Informationsflut den Überblick zu verlieren?

Joachim Wille: Zuerst: auf Qualität achten. Also seriöse Medien wählen, die faktenbasiert und unabhängig berichten. Dazu gehören die meisten großen Tageszeitungen, öffentlich-rechtliche Sender, aber auch spezialisierte Plattformen wie Klimareporter°. Zudem sollte man sich nicht zu sehr auf Social Media verlassen. Dort gibt es viele gute Infos, aber auch viel Desinformation und Zuspitzung. Wer sich nur auf diesem Weg informiert, bekommt ein verzerrtes Bild.

Fazit

Klimaschutz ist längst kein Randthema mehr, sondern entscheidet über Wohlstand, Sicherheit und Lebensqualität. Joachim Wille erzählt über die Fortschritte beim Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch die Versäumnisse in Bereichen wie Verkehr, Heizen und Industrie. Für Bürger:innen sind nicht nur politische Entscheidungen relevant, sondern auch die eigenen Schritte: vom Engagement in Energiegenossenschaften bis hin zu alltäglichen Veränderungen. Die Energiewende braucht verlässliche Rahmenbedingungen, unabhängige Informationen und eine breite gesellschaftliche Beteiligung, damit sie gelingen kann.