
Prof. Dr. Christian Klein ist Inhaber des Lehrstuhls für Sustainable Finance an der Universität Kassel und einer der profiliertesten Stimmen für eine wirksame Integration von ESG-Kriterien in den Kapitalmarkt. Seine Forschung bewegt sich an der Schnittstelle von nachhaltigem Investieren, Regulierung und Anleger:innen-Verhalten. Im Interview erklärt er, warum Ratings nicht alles sagen, wie sich echte Wirkung messen lässt – und warum nachhaltige Geldanlage mehr Eigenverantwortung erfordert, als viele denken.
EEAktuell: Herr Professor Klein, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Sustainable Finance – lange bevor ESG zum Mainstream wurde. Wie hat sich die Wahrnehmung des Themas aus Ihrer Sicht verändert – in der Wissenschaft wie bei Anleger:innen?
Prof. Dr. Christian Klein: Als ich vor rund 15 Jahren mit Sustainable Finance angefangen habe, war das ein absolutes Nischenthema – im Finanzbereich hat sich da kaum jemand für interessiert. Ich musste damals vor allem erklären, was wir da überhaupt machen. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen kam dann der große Schwung: Die EU-Kommission sah in Sustainable Finance die Chance, Geldströme gezielt umzulenken – weg von CO₂-intensiven Geschäftsmodellen, hin zu klimafreundlicheren Alternativen.
Plötzlich war das Interesse riesig. Realwirtschaft, Finanzsektor und Zivilgesellschaft waren sich erstaunlich einig: Cool, wir retten jetzt die Welt – und verdienen dabei auch noch ordentlich Geld. Mein Eindruck war oft: Viele dachten ernsthaft, dass Nachhaltigkeit eine Art neues Geschäftsmodell ist, mit dem man gleichzeitig reich und moralisch überlegen wird.
Ich habe mich damals nicht immer beliebt gemacht, wenn ich darauf hingewiesen habe: Wenn es wirklich möglich wäre, die Welt zu retten und dabei Geld zu verdienen – dann wäre sie wahrscheinlich längst gerettet. Stattdessen könnte das Gegenteil eintreten: Dass es uns eben etwas kostet. Und genau das sehen wir jetzt. Es ist mühsam, komplex und eben nicht kostenlos. Derzeit erleben wir so etwas wie den Kater nach der ESG-Party – plötzlich gilt Nachhaltigkeit als bürokratisch und lästig. Ich bin aber überzeugt: Das wird sich einpendeln. Wir bewegen uns gerade vom Überschwang in eine Phase der Ernüchterung – und hoffentlich bald in eine Phase der Vernunft.
EEAktuell: In Ihren Studien kritisieren Sie, dass ESG-Ratings oft stark voneinander abweichen. Woran liegt das und wie kann man als Anleger:in diese Unterschiede richtig einordnen?
Prof. Dr. Christian Klein: Bei ESG-Ratings geht es im Kern um die Bewertung von Nachhaltigkeit – und da wird es schnell subjektiv. Unsere Forschung zeigt: Die meisten Menschen in Deutschland finden Nachhaltigkeit grundsätzlich gut. Aber was sie konkret darunter verstehen, geht weit auseinander. Die einen finden Tesla toll, weil sie Elektroautos bauen, die wir für die Transformation brauchen. Die anderen sagen: Die Batterien sind ökologisch problematisch. Und dritte meinen: Solange Elon Musk CEO ist, kann Tesla gar nicht nachhaltig sein. Wer hat recht? Alle – oder niemand.
Ähnlich läuft es bei ESG-Ratingagenturen. Sie nutzen unterschiedliche Daten, Methoden und Wertvorstellungen. Deshalb kommen sie auch zu unterschiedlichen Bewertungen. Das ist kein Fehler, sondern eine logische Folge davon, dass Nachhaltigkeit eben keine eindeutige Kategorie ist.
Deshalb mein Rat: Wer es ganz genau wissen will, muss sich anschauen, welche Philosophie und Methodik hinter einem Rating steckt – und ob das zur eigenen Haltung passt. Und alle anderen? Locker bleiben. Nachhaltiges Investieren muss nicht perfekt sein. Jeder Schritt in Richtung einer besseren Welt ist ein guter Schritt – gut reicht oft schon.
EEAktuell: Sie haben unter anderem untersucht, ob Anleger:innen bei nachhaltigen Fonds bereit sind, Abstriche beim Rendite-Risiko-Verhältnis in Kauf zu nehmen. Wann ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt – und wann nicht?
Prof. Dr. Christian Klein: Die entscheidende Frage ist: Erziele ich mit einem nachhaltigen Fonds eine geringere Rendite oder gehe ich ein höheres Risiko ein – und wenn ja, warum?
Wenn der Unterschied dadurch entsteht, dass mein Kapital wirklich etwas bewirkt – also etwa dazu beiträgt, dass ein nachhaltiges Projekt umgesetzt werden kann, das sonst nicht finanziert worden wäre – dann kann dieser Verzicht sinnvoll sein. Das ist Impact: Mein Geld verändert etwas in der realen Welt.
EEAktuell: Viele Privatanleger:innen wollen Wirkung erzielen – etwa durch Investitionen, die mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) in Verbindung stehen. Was sind aus Ihrer Sicht realistische Erwartungen an sogenannte „Impact-Produkte“?
Prof. Dr. Christian Klein: Das lässt sich nicht pauschal beantworten – denn die Ansätze bei Impact-Produkten sind extrem unterschiedlich. Realistisch ist jedenfalls nicht, dass man mit einem echten, zusätzlichen Impact gleichzeitig ein perfekt diversifiziertes Portfolio bekommt. Auf gut Deutsch: Wer nur in Unternehmen investieren will, die einen klaren Beitrag zur Transformation leisten, keine menschenunwürdige Arbeit in der gesamten Lieferkette zulassen und mindestens 50 Prozent Frauen im Management haben – der wird feststellen: Viel Auswahl bleibt da auf dieser Welt nicht.
Und wer ausschließlich in grüne Start-ups investiert, muss sich im Klaren sein: Das Risiko ist höher, die Wertschwankungen auch. Wichtig ist deshalb, sich selbst ehrlich zu fragen: Was will ich mit meinem Geld erreichen – und was bin ich bereit dafür in Kauf zu nehmen?
EEAktuell: Regulierung wie SFDR, EU-Taxonomie oder ISSB schafft mehr Transparenz, gleichzeitig fühlen sich viele davon überfordert. Welche Rolle spielt diese Regulierung aus Ihrer Sicht, und was ist für Anleger:innen jetzt wirklich relevant?
Prof. Dr. Christian Klein: Ohne Regulierung wird es nicht gehen. Vor der Einführung der aktuellen Regeln gab es viele freiwillige Initiativen – etwa Zusammenschlüsse von Investoren oder Banken, die sich Ziele wie die Dekarbonisierung ihrer Portfolios gesetzt haben. Das klang gut, hatte aber oft wenig konkrete Wirkung.
Wir haben ja vorhin schon über die Missverständnisse gesprochen: Was bedeutet „nachhaltig“ überhaupt? Und was darf ich erwarten, wenn ich einen Fonds kaufe, auf dem „nachhaltig“ oder gar „Impact“ steht?
Hier schafft die Regulierung Ordnung und bringt Anleger:innen mehr Sicherheit und Vergleichbarkeit. Die EU-Taxonomie etwa legt fest, was nachhaltiges Wirtschaften ist und wie es messbar wird – eine gemeinsame Grundlage, ohne die ernsthafte Steuerung nicht möglich ist.
Gleichzeitig zeigen sich viele Unternehmen von den Berichtspflichten überfordert. Die EU-Kommission reagiert darauf gerade mit Anpassungen. Ich hoffe aber, dass wir jetzt nicht auf der anderen Seite über das Ziel hinausschießen und alles so stark vereinfachen, dass die notwendige Datengrundlage wieder verloren geht. Wenn wir den Klimawandel wirklich begrenzen wollen, brauchen wir valide, vergleichbare Informationen – auch wenn die Erhebung manchmal unbequem ist.
EEAktuell: Was raten Sie Menschen, die sich stärker mit nachhaltigem Investieren beschäftigen wollen, aber das Gefühl haben, zwischen Greenwashing und Fachbegriffen nicht durchzublicken?
Prof. Dr. Christian Klein: Einfach mal anfangen. Keine Panik. Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Wir haben ein Ziel – zum Beispiel Klimaschutz oder die Beseitigung von Kinderarbeit – und jeder Schritt in diese Richtung ist ein guter Schritt, sei er auch noch so klein.
Ich halte die Angst vor Greenwashing oft für übertrieben. Das liegt vielleicht auch daran, dass in Deutschland ein tiefes Grundmisstrauen gegenüber allem herrscht, was mit Finanzen zu tun hat. Gleichzeitig sind manche Erwartungen, was nachhaltige Geldanlage leisten soll, etwas… ambitioniert. Vor ein paar Jahren wussten viele Menschen noch gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt – heute wird nur noch investiert, wenn das Produkt mindestens die Welt rettet.
Mein Rat: weniger Dogma, mehr Pragmatismus. Nachhaltigkeit muss nicht perfekt, nicht vegan und auch nicht spaßfrei sein. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen – sondern überhaupt anzufangen.
Fazit
Nachhaltiges Investieren ist kein klar umrissener Pfad, sondern ein Lernprozess mit vielen Graubereichen. Prof. Dr. Christian Klein erklärt im Interview, dass Begriffe wie ESG oder Impact häufig überhöhten Erwartungen gegenüberstehen, und dass es realistischere, ehrlichere Herangehensweisen braucht.
Wer Wirkung erzielen will, muss sich fragen, wie viel Rendite, Diversifikation oder Einfachheit er dafür aufgeben möchte. Statt Perfektion geht es um informierte Entscheidungen: Welche Ratings passen zu meinen Werten? Was bedeutet „Impact“ für mich persönlich? Und was bin ich bereit, dafür in Kauf zu nehmen?
Auch Regulierung hält Prof. Klein für notwendig, aber nicht für den Ersatz für Eigenverantwortung. Nachhaltige Geldanlage wird dann relevant, wenn sie bewusst betrieben wird: mit Klarheit über die eigenen Ziele, Offenheit für Komplexität und dem Mut, auch unperfekte Lösungen als Schritt in die richtige Richtung zu akzeptieren.