Value Investing und die Zukunft der Finanzmärkte

Ein Gespräch mit Axel Kalthoff

12. 08. 2025

Axel Kalthoff

  • Gründer DIY Investor
  • Ex McKinsey

Axel Kalthoff, CFA ist Value Investor mit über 20 Jahren Kapitalmarkterfahrung. Mit DIY Investor hat er eine Plattform geschaffen, auf der er sein Wissen rund um die Themen Unternehmensbewertung, Portfoliomanagement und Gründung einer Vermögensverwaltung verständlich und praxisnah vermittelt mit einem klaren Fokus auf Fundamentaldaten und einem langfristigen Investitionshorizont.

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Axel Kalthoff ist eine feste Größe in der deutschen Finanzblogger-Szene. Mit seinem Blog “DIY Investor” hat er es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Menschen die Prinzipien des Value Investings näherzubringen und sie zu ermutigen, ihre finanzielle Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Als leidenschaftlicher Anleger mit Fokus auf Aktien und Immobilien teilt er nicht nur sein Wissen, sondern auch seine persönlichen Erfahrungen. Wir freuen uns, heute mit ihm über seine Ansätze und die aktuellen Entwicklungen auf den Finanzmärkten sprechen zu dürfen.

EEAktuell: Herr Kalthoff, bevor wir uns näher mit Value Investing und den Finanzmärkten befassen: Wie hat Ihre persönliche Reise in die Welt der Investments begonnen, und was hat Sie motiviert, Ihre Webseite “DIY Investor” ins Leben zu rufen?

Axel Kalthoff: Ich bin damals Mitte der 2000er Jahre bei McKinsey in der Metals & Mining Practice als Research Analyst eingestiegen. Rückblickend war das zwar eher Zufall, aber in meiner Zeit dort habe ich herausgefunden, dass es mir sehr viel Spaß macht, Research zu betreiben, d.h. Märkte und Unternehmen zu analysieren, Bewertungsmodelle zu erstellen etc.

Während der Finanzkrise 2008-09 habe ich dann auch angefangen in Einzelaktien zu investieren. Mein erstes Unternehmen / meine erste Aktie war damals Baffinland Iron Mines, ein Minenbetreiber, der wenig später von ArcelorMittal übernommen wurde. Gleich mit meinem ersten Investment konnte ich in relativ kurzer Zeit einen Gewinn von mehr als 100% erzielen.

Das hat mich natürlich dazu motiviert, meinen Investment-Ansatz weiter zu professionalisieren. Ich habe die CFA-Prüfung abgelegt, aber festgestellt, dass das doch alles sehr theoretisch war. DIY Investor startete ich daraufhin vor allem aus dem Antrieb heraus, mich selbst als Investor weiterzuentwickeln und mein Wissen weiterzugeben. Ich lege sehr viel Wert darauf, in meinen Artikeln über das hinauszugehen, was man in den gängigen Investitionsratgebern lesen kann. Oft steckt der Teufel nämlich im Detail.

EEAktuell: Wie würden Sie die Prinzipien des Value Investings jemandem erklären, der keinerlei Vorkenntnisse hat?

Axel Kalthoff: Zunächst mal ist es wichtig, eine Aktie als Anteil an einem realen Unternehmen zu begreifen, mit echten Produkten, Mitarbeitern, Produktionsanlagen usw.

Besitzt man einen Anteil an einem Unternehmen, dann steht einem logischerweise auch ein Anteil am Gewinn zu, oder besser gesagt: Ein Anteil an allen zukünftig erwirtschafteten Gewinnen (es spielt zwar auch eine Rolle, ob diese nun in Form einer Dividende direkt an die Eigentümer zurückfließen oder wieder ins Geschäft reinvestiert werden, aber das würde die Sache hier nur verkomplizieren).
Deshalb ist der Zeithorizont eines Value Investors tendenziell auch eher langfristig. Ich überlege mir im Vorfeld eines Investments, welche Gewinne mir da in Zukunft zufließen werden. Und vor allem: Wie diese Gewinne in Relation stehen zum geforderten Kaufpreis.

Je niedriger nämlich der Kaufpreis im Verhältnis zu den zukünftigen Gewinnen ausfällt, desto profitabler ist logischerweise das Investment. Beim Value Investing geht es also im Grunde genommen „nur“ darum, seinen gesunden Menschenverstand einzusetzen und einen langfristigen Investmentansatz zu wählen.

Als Referenz bzw. Bewertungsmaßstab kann uns übrigens im ersten Schritt eine gewöhnliche Festzinsanlage dienen. Da bekommen wir z.B. 3-4% Zinsen über einen gewissen Zeitraum und am Ende der Laufzeit unser eingesetztes Kapital zurück.

Der Value Investing-Ansatz hat dem entsprechend nichts mit einer kurzfristigen Spekulation auf steigende Aktienkurse zu tun.

EEAktuell: Wie setzen Sie diese Prinzipien in Ihrer eigenen Anlagestrategie um, und welche Rolle spielen dabei Aktien und Immobilien?

Axel Kalthoff: Die aktuelle Zusammensetzung meines Portfolios spiegelt meine Investmentinteressen über die Jahre wider. Wobei ich mich inzwischen nicht mehr unbedingt nur auf Immobilien und Aktieninvestments beschränke.

Grundsätzlich orientiert sich die Allokation meines Kapitals an den erwarteten Returns der potenziellen Investments. Ich erstelle auf dieser Basis ein Ranking und wähle die Aktien entsprechend aus.
Konkret bedeutet das, dass ich ein Investment immer in Relation zur nächstbesten Investitionsgelegenheit bewerte. Ich frage mich, welche Rendite ich an anderer Stelle einbüße, bevor ich Kapital von einem bestehenden in ein neues Investment umschichte.

Darüber hinaus spielt auch die Liquidität eines Investments bzw. einer Anlageklasse eine gewisse Rolle. Trotz ggf. sehr attraktiver Renditeaussichten muss ich an irgendeinem Punkt natürlich vermeiden, dass ein zu hoher Anteil des Kapitals in illiquiden Anlageklassen gebunden wird. Bei Immobilien beträgt die Spekulationsfrist ja aktuell 10 Jahre.

EEAktuell: Gab es in Ihrer Karriere als Value-Investor bestimmte Fehler, die Ihnen wichtige Erkenntnisse gebracht haben?

Axel Kalthoff: Ja, die Liste ist lang. Vor einiger Zeit habe ich mich einmal sehr intensiv mit meiner historischen Performance beschäftigt und versucht, die von mir gemachten Fehler zu analysieren.
Interessant dabei ist, dass es bestimmte Muster gibt. Wenn ich mir also einmal anschaue, an welchen Stellen ich historisch immer wieder Rendite eingebüßt habe, dann lässt sich das jedenfalls für mich persönlich auf drei bis vier Themenbereiche reduzieren.

Um mich hier einmal auf einen Bereich zu fokussieren: Eine Aktie zum falschen Zeitpunkt zu verkaufen (oder auch nicht zu verkaufen) ist neben dem so genannten Unterlassungsfehler aus meiner Sicht der größte Renditekiller.

Meine Fehlervermeidungsstrategie diesbezüglich beinhaltete im Grunde drei Maßnahmen:

  1. Die Verkaufsentscheidung nicht ausschließlich am vorab definierten Zielkurs festmachen (sondern diesen regelmäßig aktualisieren).
  2. Positionen ggf. in mehreren Tranchen und über einen längeren Zeitraum reduzieren.
  3. Die Anzahl an Investments und damit die Komplexität auf ein für eine einzelne Person überschaubares Maß reduzieren.

EEAktuell: Glauben Sie, dass die Prinzipien des Value Investings in Zeiten hoher Volatilität und Unsicherheiten an den Märkten besonders relevant sind?

Axel Kalthoff: Ich würde sagen, dass die Prinzipien des Value Investings im Grunde unabhängig vom Marktumfeld gelten: Wenn der Unternehmensgewinn über die Zeit ansteigt, dann sollte auch der Aktienkurs über kurz oder lang nachziehen. Das gilt erstmal relativ unabhängig von der allgemeinen Volatilität des Marktes. Man muss allerdings u.U. etwas Geduld haben.

Nichtsdestotrotz sollte man auch als Value Investor:in das allgemeine Marktsentiment bzw. die Makro-Lage nicht aus den Augen verlieren. Wenn einmal Untergangsstimmung herrscht – das konnten wir ja anhand der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 oder anhand von Covid-19 gut sehen – kann das natürlich den gesamten Markt mit in die Tiefe reißen.

Das Gute ist allerdings, dass sich die Aktienkurse, sofern die Fundamentaldaten stimmen, i.d.R. relativ schnell erholen und dass sich aus solchen Krisen meist auch sehr gute Investitionsgelegenheiten ergeben.

EEAktuell: Welche Rolle spielen erneuerbare Energien in Ihrer Investmentstrategie?

Axel Kalthoff: Ich habe mich in der Vergangenheit bereits das ein oder andere Mal mit Investments in erneuerbare Energie auseinandergesetzt. U.a. habe ich mich mit einer eigenen (großen) Solaranlage, einem größeren gelisteten Infrastrukturinvestor und auch mit dem Thema Wasserstoff beschäftigt.

Ein konkretes Investment ist da allerdings bisher noch nicht herausgekommen, da mir die Returns über die Zeit zu gering erschienen, gepaart mit einer gewissen Unsicherheit, was den regulatorischen Rahmen angeht. Wir sehen ja aktuell in den USA, wie schnell sich z.B. ein Förderregime ändern kann und wie wenig sich die Politik inzwischen an bereits gemachte Zusagen gebunden fühlt.

EEAktuell: Insbesondere Wasserstoff ist ein Thema, das in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Aus welchem Grund haben Sie da nicht investiert?

Axel Kalthoff: Ich habe mich beim Thema Wasserstoff am sogenannten „Hype Cycle“ orientiert: Da gab es vor ein paar Jahren zwar eine große Euphorie, teilweise angetrieben von sehr optimistischen Verbrauchs- und Kostenschätzungen einiger Analysten.

Bisher allerdings gibt es aus meiner Sicht keinen echten Markt, was insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass die potenziellen Großverbraucher, z.B. die Stahlindustrie, auf Basis von Wasserstoff kein funktionierendes Geschäftsmodell aufbauen können. Aufgrund der Fragmentierung des Marktes und der vorhandenen Überkapazitäten hat die Industrie seit jeher ein Problem damit, Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben. Und durch den Einsatz von Wasserstoff werden sich die Produktionskosten massiv erhöhen.

Fundamental betrachtet ist Wasserstoff in Europa mit Produktionskosten zwischen 6-10 EUR/kg im Vergleich zu anderen Energieträgern, wie z.B. Kohle, also aktuell nicht wettbewerbsfähig.
Natürlich gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, die CO2-Emissionen in den kommenden Jahren massiv zu reduzieren, was ja generell auch richtig ist. Die CEOs der betroffenen Unternehmen müssen allerdings zuallererst das Überleben ihres eigenen Unternehmens absichern. Und daher passiert da aus meiner Sicht aktuell nur wenig.

EEAktuell: Erwarten Sie, dass sich das mittelfristig ändert und Wasserstoff noch zu dem Wachstumsmotor für Europa wird, wie es sich EU-Kommission und auch Ampel-Regierung einmal ausgemalt haben?

Axel Kalthoff: Das ist eine gute Frage. Aus Sicht eines fundamental orientierten Investors ist es aus meiner Perspektive aktuell noch zu früh, um sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen. Dafür ist das Ganze noch zu spekulativ.
Aber es wird ein schwieriges Unterfangen. Ich versuche das einmal zu erklären:
Wenn man die Wasserstoffkosten für den Produzenten einmal etwas herunterbricht, dann gibt es im Grunde genommen drei große Kostenkomponenten:

  1. Den variablen Strompreis,
  2. die auf die Nutzungsdauer umgelegten und i.W. fixen Investitionskosten für den Bau des Elektrolyseurs sowie
  3. die Kapitalverzinsung des Anlagenbauers.

Im Hinblick auf den Strompreis muss man natürlich regional differenzieren. Grundsätzlich ist Kerneuropa wegen der geringen Sonnenstunden allerdings nicht der beste Standort für die Produktion von Solarstrom. Und auch für die Herstellung von Windstrom gibt es bessere Standorte. Man muss aber auch fragen,

– welche „Stromqualitäten“ für die Herstellung von grünem Wasserstoff die Regulierungsbehörden eigentlich erlauben und

– wie ggf. die für die Industrie sehr wichtige Grundlastfähigkeit sichergestellt werden kann.

Auf Basis der bisher geltenden Regeln muss man sagen, wird das Ganze in Europa massiv überreguliert, was den lokalen Wasserstoff natürlich zusätzlich verteuert.

Und bezüglich der Invest-Kosten für den Bau des Elektrolyseurs: Diese können sich natürlich erst dann substanziell nach unten bewegen, wenn sowohl Skalen- als auch Lerneffekte zu greifen beginnen. Das heißt wir benötigen aus dieser Perspektive eigentlich ein zeitnahes „Go!“ für einen Großteil der bestehenden H2-Projekte und einen recht schnellen Hochlauf der Kapazitäten. Ehrlich gesagt sehe ich diesen Hochlauf aktuell aber noch nicht.

EEAktuell: Viele Elektrolyseur-OEMs haben Großaufträge vermeldet, beispielsweise aus dem mittleren Osten oder den USA. Könnte aus dieser Perspektive ein Investment in einen solchen Anlagenbauer nicht sinnvoll sein?

Axel Kalthoff: Es gibt aktuell bestimmt viele Vor- bzw. FEED-Studien (Front-End Engineering & Design). Die finale Investitionsentscheidung setzt aber meist einen konkreten Abnahmevertrag mit einem großen Kunden voraus (ohne diesen könnte der Produzent die Anlage meist auch nicht finanzieren). Und hier liegt aktuell das Problem.

Auch die Hauptabnehmer der H2-Projekte im mittleren Osten sitzen am Ende in Europa. Denn von hier aus wurde das Thema im Grunde initiiert. Und wie gesagt: Der größte potenzielle Abnehmer, die europäische Schwerindustrie, steht dem Thema verständlicherweise sehr skeptisch gegenüber.

Um jetzt nach dem ersten Hype ein tatsächliches Investment in die Aktie eines Wasserstoffplayers zu rechtfertigen, braucht es aus meiner Sicht mehr als nur ein paar Absichtserklärungen (MoUs – Memorandums of Understanding) oder Vorstudien.

EEAktuell: Wir kommen zum Ende. Welche Tipps würden Sie Privatanleger:innen geben, die sich von den aktuellen Marktbedingungen verunsichert fühlen?

Axel Kalthoff:

  1. Ruhe bewahren. Dass die Märkte schwanken, ist nicht ungewöhnlich. Nur die Intensität, d.h. die Schlagzahl, mit der sich mutmaßlich gute und weniger gute Nachrichten abwechseln, ist neu. Man sollte wirklich schauen, inwieweit eine makroökonomische Entwicklung einen direkten Einfluss auf ein Investment haben wird. Ich denke hier z.B. an die Auswirkungen der US-Zölle auf die europäische Automobilindustrie. Nicht alle Hersteller sind hier gleichermaßen betroffen.
  2. Einen klaren Plan haben. Wer genau weiß, aus welchen 3-5 Gründen er in ein bestimmtes Unternehmen investiert hat, dem fällt es am Ende leichter, an seinem Investment festzuhalten und nicht überstürzt zu verkaufen (sofern natürlich die Investment-These noch Bestand hat).
  3. In die eigene Bildung investieren. Wer die Grundlagen versteht (sei es Bilanzanalyse, Unternehmensbewertung oder Behavioral Finance), der ist langfristig klar im Vorteil.

Fazit

Axel Kalthoff erklärt, dass erfolgreiches Investieren weniger von kurzfristigen Marktbewegungen abhängt, sondern von einem klaren, langfristigen Ansatz und der Fähigkeit, Chancen und Risiken nüchtern gegeneinander abzuwägen. Sein Blick auf Value Investing zeigt, wie disziplinierte Analyse, Geduld und ein strukturiertes Vorgehen Privatanleger:innen helfen können, bessere Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig macht er deutlich, dass auch in Zukunft Themen wie erneuerbare Energien und Wasserstoff kritisch auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden müssen, bevor sie ins Portfolio passen.