ESG-Investitionen, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien in den Mittelpunkt stellen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Diese Investitionsstrategie zielt darauf ab, langfristige, nachhaltige und ethische Investitionen zu fördern, die positive Auswirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft haben. In diesem Kontext spielen ESG-Ratings eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung von Finanzportfolios, die nicht nur finanziell erfolgreich sind, sondern auch positive gesellschaftliche und ökologische Effekte erzielen.
Im Interview mit Erneuerbare Energien Aktuell (EEAktuell) schildert Prof. Dr. Söhnholz seine Einschätzungen über die Zukunft von ESG-Investitionen und gibt wertvolle Ratschläge für Unternehmen und Investor:innen, die nachhaltige Investitionsstrategien verfolgen möchten.
EEAktuell: Was hat Sie dazu inspiriert, sich auf ESG- und SDG-Investitionen zu spezialisieren?
Prof. Dr. Söhnholz: Ich beschäftige mich seit 2007 mit nachhaltigen Investments. Seit mehr als zehn Jahren ist mir klar, dass selbst konsequent nachhaltige Geldanlagen keine Renditenachteile haben müssen und sogar weniger Risiken haben können als nicht-nachhaltige Investments. Damit gibt es keine guten Gründe mehr, nicht nachhaltig anzulegen. Inzwischen biete ich deshalb fast nur noch möglichst konsequent nach ESG- und SDG-Kriterien zusammengestellte Portfolios an.
EEAktuell: Wie können kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) Ihrer Meinung nach ESG-Kriterien effektiv in ihre Geschäftsmodelle integrieren? Gibt es erste Schritte, die besonders wichtig sind?
Prof. Dr. Söhnholz: Am wichtigsten ist, dass die angebotenen Produkte und Services möglichst nachhaltig sind. Eine entsprechende Änderung der Angebote kann lange dauern und sollte deshalb möglichst früh begonnen und konsequent umgesetzt werden. Das Top-Management muss das überzeugend vorantreiben. Dabei haben KMU den Vorteil, dass ihre Angebotspalette oft fokussierter ist und schneller konsequent umgestellt werden kann als die von Großunternehmen.
EEAktuell: Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie in den nächsten fünf Jahren im Bereich der nachhaltigen Investments? Was sollten Unternehmen und Investor:innen besonders im Auge behalten?
Prof. Dr. Söhnholz: Heute werden Anleger:innen vor allem Produkte angeboten, deren Bestandteile bei ESG-Ratings im Vergleich zu anderen Unternehmen derselben Branche überdurchschnittlich abschneiden. Künftig werden Anleger:innen wohl mehr Wert darauf legen, dass sie in die branchenunabhängig am besten geraten Unternehmen investieren. Hinzu kommt, dass die Vereinbarkeit mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen immer wichtiger wird. Unternehmen müssen deshalb vor allem ihre Produkt- und Serviceangebote möglichst SDG-kompatibel machen und sich in Bezug auf ESG an den branchenunabhängig Besten messen.
EEAktuell: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei der Förderung von ESG-Investitionen und wie können diese überwunden werden? Haben Sie konkrete Beispiele oder Lösungsansätze?
Prof. Dr. Söhnholz: Das größte Problem ist mangelndes Verständnis von Anleger:innen und oft sogar bewusste Verschleierung durch Anbieter von Geldanlagen. So gibt es sehr viele oft sehr breit diversifizierte Geldanlagen, die meistens kaum nachhaltig sind, aber als nachhaltig vermarktet werden. Das bringt Anbietern viel Geld ein, nutzt Anleger:innen aber wenig.
Eine Beweisumkehr mit einer Benchmark aus den 30 bis 50 nachhaltigsten Aktien bzw. Anleihen wäre ideal. Diversifiziertere bzw. anders zusammengestellte Portfolios wären weniger nachhaltig. Anbieter von solchen anderen Geldanlagen müssten dann beweisen, dass ihre Vorschläge so viel Zusatznutzen bringen, dass sie trotzdem gekauft werden sollten.
EEAktuell: Welche Ratschläge würden Sie einzelnen Investor:innen geben, die gerade erst beginnen, sich mit ESG-Investitionsmöglichkeiten zu beschäftigen? Welche ersten Schritte sollten sie unternehmen?
Prof. Dr. Söhnholz: Am wichtigsten ist, dass man seine individuellen idealen Nachhaltigkeitsanforderungen definiert. Dafür kann man das kostenlos verfügbare „Policies for Responsible Investment Scoring Concept“ der Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Assetmanagement (DVFA PRISC) nutzen. Damit kann man festlegen, wie wichtig einem Ausschlüsse, ESG, SDG und auch Stimmrechtsausübungen sowie Engagement sind.
EEAktuell: Wie können Investor:innen sicherstellen, dass ihre ESG-Investitionen tatsächlich zu positiven sozialen und ökologischen Veränderungen beitragen? Worauf sollten sie achten?
Prof. Dr. Söhnholz: Man sollte so nachhaltig wie möglich anlegen – und zwar in allen Anlageklassen. Der gesunde Menschenverstand hilft dabei oft mehr als die Marketingbotschaften von Produktanbietern. Ich finde zum Beispiel Gesundheitsaktien oder Aktien von Anbietern erneuerbarer Energien grundsätzlich positiv. Das gilt vor allem, wenn sie auch nach unabhängigen Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien gut abschneiden.
Idealerweise versuchen Produktanbieter auch, die Unternehmen durch Shareholder Engagement noch nachhaltiger zu machen. Nachhaltige Unternehmen weiter zu verbessern ist mir lieber, als mein begrenztes Geld in Wertpapiere von jahrzehntelangen Umweltverschmutzern oder sozialen oder ökologischen Ausbeutern zu investieren, die besonders hohe Verbesserungspotenziale haben. Die sollen ihre oft hohen Rücklagen und Gewinne für Verbesserungen nutzen oder sich Eigenkapital und Kredite von anderen besorgen.
EEAktuell: Wie wichtig ist die quantitative Analyse in Ihren ESG-Strategien und wie kann sie die Entscheidungsfindung verbessern? Können Sie uns ein Beispiel geben?
Prof. Dr. Söhnholz: Ich nutze fast ausschließlich harte Ausschlüsse, strenge ESG-Ratinganforderungen und hohe SDG-Umsatzanteile für die Aktienselektion. Wie für die meisten ETFs, spielen quantitative Analysen keine Rolle für mich. Anders formuliert: Ich weiß nicht mehr als der Markt und versuche, die nachhaltigsten Aktien zu den jeweils aktuellen Marktpreisen zu kaufen und zu verkaufen. Bisher hat das zu guten Ergebnissen geführt.
EEAktuell: Welche Auswirkungen erwarten Sie von den kommenden regulatorischen Änderungen in Europa auf die Praxis des ESG-Investierens? Wie können sich Unternehmen und Investor:innen darauf vorbereiten?
Prof. Dr. Söhnholz: Die Nachhaltigkeitsregulierung bestimmt vor allem Mindestanforderungen. Meistens können diese zumindest von Neuprodukten relativ einfach erfüllt werden. Viele wichtige Regulierungselemente fehlen aber noch. Das gilt zum Beispiel für Definitionen, was als sozial nachhaltig gilt und für fast alles, was mit Stakeholder Engagement bzw. positivem Impact zu tun hat. Wissenschaftliche Studien zeigen zudem, dass Unternehmen mit detaillierten Nachhaltigkeitsreportings geringere Reputationsrisiken und niedrigere Kapitalkosten haben können. Auch hier gilt für Anleger:innen und Unternehmen: Wartet nicht auf Regulierer, sondern benutzt gesunden Menschenverstand.
EEAktuell: Und zu guter Letzt: Was motiviert Sie persönlich, sich so intensiv mit dem Thema nachhaltige Finanzen zu beschäftigen? Gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte oder ein inspirierendes Erlebnis in Ihrer Karriere, das Sie mit uns teilen möchten?
Prof. Dr. Söhnholz: Die globale Finanzkrise 2008 hat mich dazu veranlasst, gemeinsam mit Kollegen ein Buch zum Thema Asset-Allocation, Risiko-Overlay und Managerselektion zu schreiben. Darin kritisieren wir viele traditionelle Geldanlagekonzepte und stellen einfache Alternativen vor. Seit 2012 habe ich mich zudem intensiv mit nachhaltiger Geldanlage befasst und versuche dauerhaft, auch wissenschaftlich Up-to-date zu bleiben und andere durch meinen Blog daran daran teilhaben zu lassen. Meine Lehre daraus ist klar: Es reicht, in wenige liquide Aktien anzulegen und es spricht alles dafür, die nachhaltigsten zu suchen. Der Grenznutzen weiterer Diversifikation ist sehr gering, die Grenzkosten gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit können aber hoch sein.
Die Zukunft des ESG-Investierens: Interview-Fazit
Prof. Dr. Dirk Söhnholz hat in diesem Interview tiefgehende Einblicke in die Welt der ESG-Investitionen und deren zukünftige Entwicklung gegeben. Er betont die Notwendigkeit, nachhaltige Kriterien konsequent in Finanzentscheidungen zu integrieren, da diese nicht nur Renditenachteile vermeiden, sondern auch Risiken reduzieren können. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen ist es wichtig, frühzeitig und konsequent nachhaltige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, wobei das Top-Management eine zentrale Rolle spielt.
Prof. Dr. Söhnholz prognostiziert, dass Anleger:innen in den kommenden Jahren verstärkt auf branchenunabhängig am besten bewertete Unternehmen setzen werden und die Vereinbarkeit mit den UN-Nachhaltigkeitszielen immer wichtiger wird. Er weist auf die Herausforderungen hin, die durch mangelndes Verständnis und bewusste Verschleierung seitens der Anbieter entstehen, und schlägt klare Benchmarks vor, um die Transparenz zu erhöhen.
Für neue ESG-Investor:innen empfiehlt er, individuelle Nachhaltigkeitsanforderungen zu definieren und dabei auf einfache, bewährte Konzepte zurückzugreifen.
Abschließend betont unser Interviewpartner, dass die kommenden regulatorischen Änderungen in Europa die Mindestanforderungen für Nachhaltigkeit festlegen werden, aber Unternehmen und Investor:innen ihren gesunden Menschenverstand nutzen sollten, um darüber hinauszugehen. Seine persönliche Motivation und Erfahrungen unterstreichen die Wichtigkeit, langfristig in die nachhaltigsten Aktien zu investieren und die Vorteile einer fokussierten Anlagestrategie zu nutzen. Im Interview wird klar, wie wichtig es ist, nachhaltige Investitionsansätze frühzeitig und konsequent zu verfolgen, um sowohl finanzielle als auch gesellschaftliche Vorteile zu erzielen.